Der Traum

Gedicht von Chryssanthi Sahar Scharf

Ich sah Dich schon immer in meinem Traum
schöne Prinzessin Tänzerin,
wundervolle Tochter des Morgenlandes.
Du tanztest und erfülltest die Welt mit Glückseligkeit.
Mit jedem Schritt lachte die Erde,
mit jeder Drehung klatschten die Sterne in die Hände;
wenn Deine Hüfte sich in sanften Wellen wog,
erblühten Lilien auf den Feldern,
wenn Dein Bauch im Einswerden mit den ewigen Rhythmen zitterte,
beugte sich der Mond und küßte Dich auf die Stirn
und meine Seele wollte eins mit Deiner Seele werden,
mein Körper die Schwingungen Deines Körpers abfangen
und sie weiter an die Planeten und an die Galaxien ausbreiten.

Dann fing ich zu tanzen an
und erlebte im Tauchen in die unendliche Meere der Musik meinen Traum.

Du warst bei mir,
ich war Du
und meine Seele erfüllte sich mit den Wonnen des Universums.

Doch als die Wirklichkeit mich aus meinem Traum weckte,
wurde der Tanz zum Kampf,
die Verbundenheit zur Intrige.
Ich hörte, daß Anbetung und Verachtung sich mischen,
daß die Prinzessin zur gleichen Zeit auch die Bettlerin ist,
die Göttin auch die Dämonin.

Dann las ich.
Ich wollte die Wurzeln meines Traums entdecken
und stieß dabei auf Morde, Haß, Intrigen,
Erniedrigung, Menschenverachtung, Blut.
Ich stieß auf den Argwohn wollüstiger Sultanen,
die die geliebte Sklavin erwürgten,
auf Machtspiele der Begünstigten,
die das Emporkommen der noch-nicht-Begünstigten
mit dem Tod beendeten,
auf Streiche von Staatsmännern und Eunuchen,
die Starken und Schwachen ihres Lebens beraubten
und meine Seele schwieg voller Trauer.

Dann fragte ich mich,
wie ich jemals von Dir geträumt haben konnte,
da Du nie existiert hast,
wie ich mich jemals mit Dir eins gefühlt haben konnte,
da es Dich nie gegeben hat.

Woher empfing ich Dein schönes Bild?
War es vielleicht die Sehnsucht nach Leben,
in einer Welt, die dem Gesetz des Todes unterliegt?
War es vielleicht ein Traum von Schönheit,
in einer von Häßlichkeit gezeichneten Erde?
War es vielleicht das Verlangen nach Freiheit
inmitten einer Gefangenschaft?

Und was ist das,
was mich immer noch beflügelt,
was ist das,
was meine Seele immer noch mit Glückseligkeit erfüllt,
wenn ich eins werde
mit den ewigen Rhythmen,
wenn bei jedem meiner Schritte die Erde lacht,
bei jeder meiner Drehungen
die Sterne in die Hände klatschen,
bei jedem Zittern meines Bauches,
der Mond sich beugt und mich auf die Stirn küßt?

Was ist das,
was in meiner Seele leuchtet schön wie die Morgenröte,
undendlich wie das Meer,
tief wie die Nacht?

Lebst Du Prinzessin?