Der Ball

Kurzgeschichte von Chryssanthi Sahar Scharf

Ich hatte einen Traum. In meinem Traum war ich in einem riesigen Ballsaal. Ich stand alleine inmitten einer Menge von Menschen und versuchte auf die Musik zu hören. Was ich jedoch hörte, war ein Wirrwarr von Tönen, in dem ich weder einen Rhythmus, noch eine Melodie erkannte.

Ich schaute mich um. Die meisten Menschen im Saal tanzten. Manche hatten kleine oder größere Gruppen gebildet und tanzten zusammen, andere tanzten zu Zweit, andere wiederum tanzten ganz alleine und es gab einige wie mich, die verwirrt und unentschlossen im Raum standen.

Obwohl ich keine Melodie erkennen konnte, beschloß ich , mich einer der Gruppen anzuschließen. Es war eine große Gruppe, die einen Reigen tanzte. Ich gesellte mich zu ihnen, ich konnte jedoch ihren Schritten nicht folgen. Es war mir unmöglich, den Rhythmus, auf den diese Menschen tanzten, aus der musikalischen Verwirrung herauszuhören.

Ich verließ die Gruppe und gesellte mich einem Mann zu, der allein tanzte. Aber auch seinen Tanzschritten konnte ich nicht folgen und seine Musik nicht hören, also wandte ich mich von ihm ab.

Ich unternahm einen neuen Versuch. Ich schloß mich einer kleinen Gruppe an, die in Paaren tanzte. Und, wie ein Wunder geschah es, ich konnte sofort mittanzen. Ich hörte deutlich einen Rhythmus begleitet von einer schönen Melodie und die Schritte schienen mir selbstverständlich.

Nachdem ich eine Weile mit dieser Gruppe getanzt hatte, beschloß ich, von Neugierde getrieben, festzustellen, ob es noch andere Menschen im Saal gab, deren Tanz ich folgen konnte. Mein nächster Versuch war wieder erfolgreich: sobald ich einem jungen Mann, der allein tanzte, die Hand reichte, fing ich an, den gleichen Tanz zu tanzen und seine Musik zu hören.

Ich versuchte es mit verschiedenen Gruppen und einzelnen Tänzern. Manchmal hatte ich Erfolg, manchmal nicht. Manchmal erlebte ich auch etwas Unangenehmes. Als ich mich zum Beispiel einer großen Gruppe anschloß, ihren Schritten jedoch nicht folgen konnte, schrie mich jemand aus der Gruppe an: „Sie! Schämen Sie sich nicht, daß Sie nicht tanzen können?“ „Ich kann doch tanzen“ erwiderte ich, „ich kann aber ihre Musik nicht erkennen“. „Pfui, Sie taube Person! Wenn Sie nicht hören können, stören Sie nicht mehr unseren Kreis“, schrie er mich wieder an und stieß mich kräftig weg. Ich fiel fast hin.

Bei diesen ganzen Versuchen wurde mir deutlich, daß nicht die Melodie, sondern der Rhythmus fürs Tanzen wichtig war. Denn ich konnte mit verschiedenen Menschen zu verschiedenen Melodien tanzen, der Rhythmus jedoch war immer der gleiche. Und jedesmal, wenn ich dem Tanz nicht folgen konnte, lag es hauptsächlich daran, daß ich den Rhythmus nicht erkannte, auf den diese Menschen tanzten.

Etwas machte mich jedoch traurig: ich stellte fest, daß es sehr wenige Menschen gab, die auf denselben Rhythmus tanzten wie ich.

Plötzlich gingen die Lichter aus, die Menschen verschwanden und die Musik verstummte, bis auf einen einzigen Rhythmus, der laut im dunklen Raum erklang und meine Beine zum Tanzen bewegte.
Und in diesem Moment wachte ich auf.